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Knieprothese: Werden Fehlstellungen immer vollständig korrigiert?

ENDOPROTHETICUM Rhein-Main / Prof. Dr. med. K.P. Kutzner

Warum es beim künstlichen Kniegelenk (Knie-TEP) nicht zwingend ein (ganz) gerades Bein sein muss

Die Knieendoprothetik hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm weiterentwickelt. Patienten mit schwerer Arthrose oder anderen degenerativen Erkrankungen des Kniegelenks profitieren von modernen Knieprothesen (Knie-TEP), die Schmerzen lindern und die Beweglichkeit verbessern. Ein zentraler Aspekt bei der Implantation eines künstlichen Kniegelenks ist die Korrektur von Fehlstellungen des Kniegelenks.

Traditionell wurde eine neutrale mechanische Achse angestrebt, um eine gleichmäßige Belastung der Knieprothese zu gewährleisten. Neuere Ansätze hinterfragen diese Praxis jedoch zunehmend und favorisieren Konzepte wie das kinematische Alignment, bei dem bestehende Achsabweichungen in einem bestimmten Rahmen belassen werden. Dieser Artikel gibt einen umfassenden Überblick über verschiedene Resektionstechniken, die Korrektur von Fehlstellungen und die aktuellen Entwicklungen in der Knieendoprothetik.


Anatomie und Biomechanik des Kniegelenks

Das Kniegelenk ist das größte Gelenk des menschlichen Körpers und verbindet den Oberschenkelknochen (Femur) mit dem Schienbein (Tibia). Es ist ein komplexes Scharniergelenk, das sowohl Beuge- und Streckbewegungen als auch leichte Rotationsbewegungen ermöglicht. Die Stabilität des Kniegelenks wird durch verschiedene Strukturen wie Bänder, Menisken und Muskeln gewährleistet.

Die natürliche Achse des Beins weist häufig eine leichte O- (Varus) oder X-Stellung (Valgus) auf. Diese natürlichen Abweichungen können individuell variieren und beeinflussen die Gelenkbelastung sowie die Spannung der Weichteile. Eine nicht optimal berücksichtigte Korrektur kann langfristig zu Problemen führen, weshalb alternative Ausrichtungsstrategien zunehmend an Bedeutung gewinnen.


Fehlstellungen des Kniegelenks: Ursachen und Auswirkungen

Fehlstellungen des Kniegelenks können angeboren sein oder sich im Laufe des Lebens entwickeln. Häufige Ursachen sind:

  • Degenerative Erkrankungen: Arthrose führt zum Knorpelabbau und kann die Gelenkgeometrie verändern.
  • Traumata: Verletzungen können unbehandelt oder unzureichend versorgt zu Fehlstellungen führen.
  • Entzündliche Erkrankungen: Rheumatoide Arthritis und andere systemische Erkrankungen können die Gelenkstruktur nachhaltig schädigen.

Diese Fehlstellungen beeinflussen die Gelenkmechanik erheblich, führen zu einer ungleichmäßigen Belastung und können den Verschleiß beschleunigen. Ein ausgewogener Korrekturansatz ist daher essenziell.


Wie funktioniert eine Knieprothese?

Eine Knieprothese ist ein künstlicher Gelenkersatz, der dazu dient, die Funktion eines durch Arthrose, Verletzungen oder andere Erkrankungen geschädigten Kniegelenks wiederherzustellen. Moderne Knieprothesen bestehen aus mehreren Komponenten, die präzise aufeinander abgestimmt sind, um eine natürliche Beweglichkeit und Stabilität zu ermöglichen.


1. Aufbau einer Knieprothese

Eine Knieprothese besteht in der Regel aus drei Hauptkomponenten:

  • Femurkomponente (Oberschenkelanteil): Diese Metallkomponente ersetzt die beschädigten Gelenkflächen des Oberschenkelknochens (Femur) und gleitet über die Polyethylenfläche der Tibiakomponente.
  • Tibiakomponente (Schienbeinanteil): Diese Metallplattform wird auf das obere Ende des Schienbeins gesetzt und dient als stabile Basis für den künstlichen Gleitkern aus Polyethylen.
  • Patellakomponente (Kniescheibenanteil): Optional kann auch die Kniescheibe durch eine Polyethylen-Komponente ersetzt werden, um eine optimale Gleitfähigkeit zu gewährleisten.

Zusätzlich gibt es je nach Patientenbedarf unterschiedliche Kopplungsgrade, die variieren, je nachdem, wie stark die Prothese die Stabilität der natürlichen Kniebänder ersetzen muss.


2. Funktionsweise einer Knieprothese

Die Knieprothese funktioniert, indem sie die Beweglichkeit des natürlichen Kniegelenks nachbildet. Moderne Knie-TEPs (Totalendoprothesen) sind so konzipiert, dass sie:

  • Eine reibungsarme Gleitbewegung zwischen den künstlichen Gelenkflächen ermöglichen.
  • Die physiologische Achse des Beins bestmöglich erhalten oder rekonstruieren.
  • Die natürliche Bandspannung berücksichtigen, insbesondere bei der kinematischen Ausrichtung.
  • Eine hohe Stabilität im Stand sowie eine flüssige Beweglichkeit beim Gehen gewährleisten


3. Bewegungsumfang und Stabilität nach einer Knieprothese

Nach einer erfolgreichen Implantation kann eine Knieprothese eine Beugung von 120° oder mehr ermöglichen, je nach Patient und Operationsmethode. Moderne Implantate sind auf eine Lebensdauer von über 20–30 Jahren ausgelegt und bestehen aus verschleißarmen Materialien wie hochvernetztem Polyethylen und Cobalt-Chrom-Legierungen.


4. Unterschiedliche Ausrichtungsarten der Knieprothese

Je nach anatomischen Gegebenheiten und individueller Fehlstellung werden Knieprothesen heute nach verschiedenen Prinzipien ausgerichtet:

  • Measured Resection (Mechanisches Alignment):
    → Hier wird das Kniegelenk so ausgerichtet, dass das Bein eine
    gerade Achse erhält, unabhängig von der ursprünglichen Stellung.
  • Kinematisches Alignment:
    → Die natürliche Bandspannung bleibt weitgehend erhalten, indem leichte O- oder X-Beine bestehen bleiben dürfen. Dies führt oft zu einem natürlicheren Bewegungsgefühl.


5. Wie fühlt sich eine Knieprothese an?

Patienten berichten häufig über eine deutliche Schmerzreduktion und eine verbesserte Lebensqualität nach einer Knie-TEP. In den ersten Monaten kann sich das Implantat noch fremd anfühlen, aber mit gezielter Physiotherapie lässt sich nicht selten eine nahezu normale Beweglichkeit erreichen.


Measured Resection: Die traditionelle Technik bei der Knieprothese

Die Measured Resection-Technik ist eine der ältesten Methoden zur Implantation einer Knieprothese. Hierbei wird das Knie so ausgerichtet, dass eine mechanisch neutrale Achse erzielt wird, unabhängig von der ursprünglichen Anatomie des Patienten.

Vorgehensweise

  • Knochenschnitte: Die Knochen werden anhand vordefinierter Winkel und Abmessungen reseziert.
  • Ausrichtung: Spezielle Instrumente sorgen dafür, dass die Knochenschnitte in einer optimalen Achse durchgeführt werden.
  • Weichteilbalancierung: Nach den Knochenschnitten werden die Weichteile, insbesondere die Bänder, so angepasst, dass eine gleichmäßige Spannung erreicht wird.

Vorteile

  • Standardisierte, bewährte Technik mit guten Langzeitergebnissen.
  • Gut reproduzierbare Ergebnisse.
  • Gleichmäßige Belastung der Prothesenkomponenten.

Nachteile

  • Potenziell erhöhte Weichteilbelastung durch erzwungene Anpassung an eine standardisierte Achse.
  • Kann zu unphysiologischen Gelenkbelastungen führen.
  • Nicht jeder Patient profitiert von einer vollständigen Achskorrektur.


Kinematic Alignment: Ein individueller Ansatz bei der Knieprothese

Beim Kinematic Alignment wird das Knieprothesendesign so angepasst, dass es die natürliche Anatomie des Patienten möglichst genau nachbildet. Diese Technik erlaubt es, eine leichte O- oder X-Stellung beizubehalten, um die natürliche Bandspannung und Weichteilbalance zu erhalten.

Vorgehensweise

  • Patientenspezifische Planung: Hochentwickelte bildgebende Verfahren helfen dabei, die natürliche Achse zu bestimmen.
  • Minimalinvasive Weichteilanpassung: Die Weichteile werden nicht unnötig gedehnt oder gestrafft, um eine gleichmäßige Belastung zu gewährleisten.
  • Individuelle Knochenschnitte: Die Resektion erfolgt entlang der natürlichen Knieachse.

Vorteile

  • Reduziert die Spannung auf Bänder und Muskeln.
  • Kann zu einer kürzeren Rehabilitationszeit führen.
  • Ermöglicht eine natürlichere Gelenkbewegung.

Nachteile

  • Erfordert eine präzisere präoperative Planung.
  • Kann für bestimmte Patienten nicht geeignet sein.
  • Die Langzeitergebnisse sind noch nicht so umfassend dokumentiert wie bei der traditionellen Methode.


Der Trend zur teilweisen Korrektur von Fehlstellungen in der Knieendoprothetik

In den letzten Jahren hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine vollständige Korrektur nicht immer die beste Lösung ist. Insbesondere beim kinematischen Alignment bleibt eine moderate Fehlstellung erhalten, um die natürliche Gelenkdynamik nicht zu beeinträchtigen.

  • Varus-Korrektur: Aus einem starken O-Bein wird ein leichtes O-Bein.
  • Valgus-Korrektur: Aus einem starken X-Bein wird ein leichtes X-Bein.

Diese moderaten Korrekturen können dazu beitragen, dass die Weichteile nicht unnatürlich gespannt werden und die Beweglichkeit erhalten bleibt.


Zukunftsperspektiven in der Knieendoprothetik

Die Zukunft der Knieendoprothetik wird stark durch personalisierte Implantatdesigns, roboterassistierte Chirurgie und weiterentwickelte biomechanische Erkenntnisse geprägt sein. Individualisierte Lösungen wie das kinematische Alignment werden weiter optimiert und zunehmend in den klinischen Alltag integriert.


Fazit

Die vollständige Korrektur von Fehlstellungen im Zusammenhang mit einer Knieprothese (Knie-TEP)  ist nicht immer die beste Lösung. Moderne Techniken wie das kinematische Alignment erlauben beim künstlichen Kniegelenk eine individuellere Herangehensweise, die für viele Patienten Vorteile bietet. Die Wahl der richtigen Technik sollte individuell getroffen werden, um bestmögliche Langzeitergebnisse zu erzielen.

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