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Retroversion der Hüftgelenkspfanne – oft unerkannter Grund für Hüftbeschwerden

ENDOPROTHETICUM Rhein-Main / Prof. Dr. med. K.P. Kutzner

Das Cross-Over-Sign im Röntgenbild und die entsprechende Fehlstellung (Retroversion) der Hüfte wird häufig übersehen!

Hüftbeschwerden sind ein häufiges Problem, das Menschen jeden Alters betreffen kann. Während bekannte Ursachen wie Arthrose, Hüftdysplasie oder das femoroazetabuläre Impingement (FAI) oft im Vordergrund stehen, bleibt eine spezifische anatomische Variante häufig unerkannt: die Retroversion der Hüftgelenkspfanne. Diese Fehlstellung kann zu erheblichen Beschwerden führen und das Risiko für degenerative Veränderungen im Hüftgelenk erhöhen. In diesem umfassenden Artikel werden wir die Retroversion des Azetabulums detailliert beleuchten, ihre anatomischen Besonderheiten, klinischen Konsequenzen, diagnostischen Merkmale im Röntgenbild – insbesondere das Cross-Over-Sign – sowie mögliche Therapieoptionen ausführlich diskutieren.


Anatomie des Hüftgelenks

Das Hüftgelenk ist ein zentrales Kugelgelenk des menschlichen Körpers, das den Oberschenkelknochen (Femur) mit dem Becken (Pelvis) verbindet. Es ermöglicht eine Vielzahl von Bewegungen und trägt maßgeblich zur Stabilität und Mobilität bei.

Bestandteile des Hüftgelenks:

  • Femurkopf: Der kugelförmige obere Teil des Oberschenkelknochens, der in die Hüftpfanne passt.
  • Azetabulum: Die Hüftgelenkspfanne im Becken, die den Femurkopf aufnimmt.
  • Knorpel: Eine glatte Schicht, die die Gelenkflächen bedeckt und reibungslose Bewegungen ermöglicht.
  • Labrum: Ein faserknorpeliger Ring am Rand des Azetabulums, der die Gelenkstabilität erhöht.
  • Gelenkkapsel und Bänder: Sie umgeben das Gelenk und sorgen für zusätzliche Stabilität.

Die Ausrichtung des Azetabulums spielt eine entscheidende Rolle für die Funktion des Hüftgelenks. Normalerweise ist die Hüftpfanne leicht nach vorne geneigt, eine Position, die als Anteversion bezeichnet wird. Diese Vorwärtsneigung ermöglicht eine optimale Bewegungsfreiheit und verhindert ein frühzeitiges Aufeinandertreffen von Femurkopf und Azetabulum.


Was ist eine Retroversion der Hüftgelenkspfanne?

Bei der Retroversion des Azetabulums handelt es sich um eine anatomische Variante, bei der die Hüftpfanne nicht wie üblich nach vorne (antevertiert), sondern nach hinten geneigt ist. Diese rückwärtige Neigung führt dazu, dass der vordere Rand des Azetabulums prominenter wird und der hintere Rand zurückweicht.

Anatomische Merkmale der Retroversion:

  • Veränderung der Pfannenorientierung: Anstelle der normalen Anteversion zeigt die Pfanne eine Retroversion, was bedeutet, dass sie nach hinten geneigt ist.
  • Prominenz des vorderen Pfannenrands: Der vordere Rand des Azetabulums ragt weiter nach vorne, was zu einer verminderten vorderen Überdachung des Femurkopfes führt.
  • Reduzierte hintere Überdachung: Der hintere Pfannenrand bietet weniger Abdeckung für den Femurkopf, was die Stabilität des Gelenks beeinträchtigen kann.

Diese anatomische Fehlstellung kann die Biomechanik des Hüftgelenks erheblich beeinflussen und zu verschiedenen klinischen Problemen führen.


Klinische Konsequenzen der Azetabulum-Retroversion

Die Retroversion der Hüftgelenkspfanne kann eine Reihe von klinischen Symptomen und langfristigen Folgen nach sich ziehen.

1. Femoroazetabuläres Impingement (FAI):

Eine der häufigsten Konsequenzen der Azetabulum-Retroversion ist das femoroazetabuläre Impingement, insbesondere der Pincer-Typ. Dabei kommt es zu einem vermehrten Kontakt zwischen dem vorderen Pfannenrand und dem Femurkopf bzw. -hals, was zu einer Einklemmung führt.

Symptome des FAI:

  • Schmerzen in der Leiste: Besonders bei Bewegungen wie dem Anheben des Beins oder dem Drehen nach innen.
  • Eingeschränkte Beweglichkeit: Schwierigkeiten bei tiefem Sitzen, Bücken oder sportlichen Aktivitäten.
  • Schnappende Geräusche: Ein hör- oder fühlbares "Schnappen" im Hüftgelenk bei bestimmten Bewegungen.

Langfristig kann ein unbehandeltes FAI zu Knorpelschäden und Labrumläsionen führen, was das Risiko für die Entwicklung einer Koxarthrose erhöht.

2. Erhöhtes Risiko für Koxarthrose:

Durch die veränderte Biomechanik und die vermehrte Belastung bestimmter Gelenkbereiche steigt das Risiko für degenerative Veränderungen im Hüftgelenk. Der kontinuierliche Knorpelabrieb kann zur Entwicklung einer Koxarthrose führen, die mit chronischen Schmerzen und erheblichen Bewegungseinschränkungen einhergeht.

3. Hüftdysplasie:

In einigen Fällen kann die Retroversion des Azetabulums mit einer Hüftdysplasie einhergehen, einer Fehlbildung, bei der die Hüftpfanne den Femurkopf nicht ausreichend überdacht. Dies führt zu einer Instabilität des Gelenks und erhöht ebenfalls das Arthroserisiko.


Diagnostik der Azetabulum-Retroversion

Die genaue Diagnose einer Retroversion der Hüftgelenkspfanne ist essenziell, um gezielt therapeutische Maßnahmen einzuleiten und schwerwiegende Folgeschäden wie Koxarthrose oder ein femoroazetabuläres Impingement (FAI) zu verhindern. Da die Symptome oft unspezifisch sind und mit anderen Hüfterkrankungen verwechselt werden können, sind eine gründliche klinische Untersuchung und die Anwendung verschiedener bildgebender Verfahren entscheidend.

1. Klinische Untersuchung

Ein erfahrener Orthopäde oder Hüftspezialist wird zunächst die Beweglichkeit des Hüftgelenks überprüfen. Dabei können bestimmte klinische Tests Hinweise auf eine mechanische Einklemmung durch den prominenten vorderen Pfannenrand liefern.

Wichtige klinische Tests:

  • Flexions-Innenrotations-Adduktionstest (FADIR-Test):
  • Der Patient liegt auf dem Rücken, das Bein wird in Beugung (Flexion), Innenrotation und Adduktion gebracht.
  • Bei Schmerzen in der Leiste spricht dies für ein femoroazetabuläres Impingement (Pincer-Typ), welches durch die Retroversion begünstigt wird.
  • Aufgehobene Innenrotation bei überdurchschnittlich guter Außenrotation der Hüfte: durch die Retroversion der Pfanne des Hüftgelenkes kommt es in Innenrotation zu einem Anschlagen des Schenkelhalses am vorderen Pfannenrand, hingegen besteht in Außenroation zumeist gar keine knöcherne Begrenzung und daher eine sehr gute Beweglichkeit.
  • Drehmann-Zeichen:
  • Beim Beugen der Hüfte weicht das Bein unkontrolliert nach außen aus.
  • Dies kann ein Hinweis auf eine Labrumverletzung oder Arthroseentwicklung sein.
  • Schmerzprovokationstests:
  • Gezielter Druck auf die Leiste oder das Gesäß kann Hinweise auf eine Überlastung durch die fehlerhafte Pfannenstellung geben.


2. Röntgenuntersuchung – Das Cross-Over-Sign als Schlüsselfaktor

Das wichtigste diagnostische Hilfsmittel zur Erkennung einer Azetabulum-Retroversion ist das konventionelle Röntgenbild des Beckens in anterior-posteriorer (AP) Ansicht. Hierbei ist das sogenannte Cross-Over-Sign (COS) von zentraler Bedeutung.

Das Cross-Over-Sign (COS) – Ein eindeutiges Indiz für Retroversion

  • Normalerweise verlaufen der vordere und hintere Pfannenrand parallel, ohne sich zu kreuzen.
  • Bei einer Retroversion kreuzt der vordere Pfannenrand den hinteren und erscheint dadurch weiter innen als dieser.
  • Dies zeigt, dass die Hüftpfanne nach hinten gekippt ist und eine fehlerhafte Überdachung des Femurkopfes vorliegt.

Weitere Röntgenzeichen für eine Retroversion:

  • Posteriorer Wand-Zeichen:
  • Normalerweise liegt die hintere Wand der Hüftpfanne medial des Femurkopfes.
  • Bei einer Retroversion verlagert sich diese weiter lateral, was die mangelnde hintere Überdachung belegt.
  • Ischial-Spine-Sign:
  • Das Sitzbein (Spina ischiadica) wird im normalen Röntgenbild nicht dargestellt.
  • Ist es deutlich sichtbar, spricht dies für eine abnorme Pfannenorientierung.

3. Erweiterte Bildgebung: CT und MRT

Da das Röntgenbild lediglich eine zweidimensionale Darstellung erlaubt, kann zur genauen Analyse der Pfannenstellung eine Computertomographie (CT) mit 3D-Rekonstruktion erforderlich sein.

CT-Untersuchung zur Bestimmung des Retroversionswinkels

  • Eine CT-gestützte Winkelmessung ermöglicht die genaue Berechnung der Pfannenorientierung.
  • Normalwerte:
  • Anteversion: ca. 15°–20°
  • Retroversion: < 0°

MRT zur Beurteilung von Begleitschäden

  • Labrumläsionen: Durch die fehlerhafte Pfannenstellung kann das Labrum eingeklemmt oder beschädigt werden.
  • Knorpelschäden: Eine zu starke Belastung bestimmter Gelenkareale kann zu frühzeitiger Arthrose (Koxarthrose) führen.
  • Gelenkerguss: Flüssigkeitsansammlungen im Gelenk können auf eine entzündliche Reaktion hinweisen.


Therapieoptionen bei Azetabulum-Retroversion

Je nach Schweregrad der Symptome und bereits vorhandenen Begleitschäden gibt es konservative und operative Therapieansätze.

1. Konservative Therapie – Wann kann sie helfen?

In frühen Stadien kann eine physiotherapeutische Behandlung und gezielte Anpassung der Belastung helfen, Beschwerden zu reduzieren.

Wichtige Maßnahmen:

  • Kräftigung der Hüftmuskulatur:
  • Stabilisierung des Hüftgelenks durch gezieltes Training der Abduktoren, Beuger und Gesäßmuskulatur.
  • Reduzierung impingierender Bewegungen:
  • Vermeidung von tiefer Beugung und Innenrotation, um das Labrum nicht weiter zu belasten.
  • Gewichtsreduktion:
  • Verringerung des Drucks auf das Hüftgelenk kann Beschwerden lindern.
  • Schmerzmanagement:
  • Entzündungshemmende Medikamente (NSAR) können Schmerzen reduzieren.
  • Hyaluronsäure- oder PRP-Injektionen zur Verbesserung der Gelenkschmierung.

2. Operative Therapie – Wann ist eine OP notwendig?

Falls konservative Maßnahmen nicht ausreichen und bereits Schäden am Labrum oder Knorpel bestehen, kann eine operative Korrektur der Pfannenstellung erforderlich sein.

Arthroskopische Therapie (minimalinvasive Methode):

  • Bei leichter Retroversion kann eine Arthroskopie mit Labrumrefixation und Knochenglättung durchgeführt werden.

Periazetabuläre Osteotomie (PAO):

  • Falls die Fehlstellung schwerwiegend ist, kann eine PAO nach Ganz helfen, indem die Hüftpfanne chirurgisch in die richtige Position gebracht wird.

Totalendoprothese (Hüft-TEP):

  • Falls die Retroversion bereits eine schwere Koxarthrose verursacht hat, ist der Ersatz durch ein künstliches Hüftgelenk die einzige Option.


Fazit: Warum eine frühzeitige Diagnose bei dieser Hüftfehlstellung entscheidend ist

Die Retroversion der Hüftgelenkspfanne ist eine häufig übersehene Ursache für chronische Hüftschmerzen und kann langfristig zu einer frühzeitigen Arthrose (Koxarthrose) führen. Besonders das femoroazetabuläre Impingement (FAI) ist eine häufige Begleiterscheinung dieser anatomischen Fehlstellung.

Wichtige Punkte zusammengefasst:

Frühe Diagnostik ist essenziell! – Das Cross-Over-Sign im Röntgenbild ist ein entscheidender Hinweis.
Symptome ernst nehmen! – Anhaltende Leistenschmerzen sollten nicht ignoriert werden.
Konservative Maßnahmen können in frühen Stadien helfen.
Chirurgische Eingriffe wie die periazetabuläre Osteotomie (PAO) können die Gelenkerhaltung unterstützen.
Bei fortgeschrittener Arthrose kann eine Hüftprothese (Hüft-TEP) notwendig werden.

Wenn Sie unter ungeklärten Hüftschmerzen leiden, kann ein Besuch bei einem spezialisierten Hüftorthopäden entscheidend sein, um langfristige Schäden zu vermeiden. Lassen Sie sich von einem Endoprothetikzentrum mit Hüftspezialisten beraten!

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